Luis Durnwalder und Michil Costa: So schrill sind Naturschutz und Naturverhunzung selten aneinander geraten. Am Fall Antersasc prallen zwei Welten aufeinander, und beide haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Von Florian Kronbichler

Luis Durnwalder und Michil Costa Samstagnachmittag am Würzjoch: Der Wüstling, der soeben eine der letzten verbliebenen Unschulden dieses Landes entjungfert hat: freizeitlich-bieder gewandet, so wie die Leute hier alle, wenn sie aufs Fest gehen. Im minderen Sonntagsgewand, hätte man früher gesagt. In feinstem Tuch hingegen der Schützer: auf den Leisten geschlagener Tiroler Landhausstil, wie nur der römische und Mailänder Geldadel ihn trägt, wenn er in Cortina auf Sommerfrische weilt. Wir würden Kitsch dazu sagen. Es muss eine Respekterweisung seinem Widerpart gegenüber gewesen sein, dass der Nobelhotelier aus Corvara zum Anlass auf seine übliche Haute-Couture-Lederhose verzichtet hat. Sie hätte das Zusammentreffen mit dem bäuerischen Laggl gar zu frivol symbolhaft erscheinen lassen.

Zwei Welten prallten aufeinander. Zwei Überzeugungen von dem, was gut ist für die Umwelt.  Zur Erklärung des Konflikts ist es hilfreich, wir nehmen an, beide sind in gutem Glauben. Dass beiden sehr ernst war, das sah man. Und der Ungeschicktere war im Zweifelsfall Durnwalder. Er pöbelte, lenkte ab und wurde persönlich. Analysten von Streitgesprächen werten das als Minuspunkte. Aber es heißt nicht, dass Durnwalder deswegen unrecht hat und Michil Costa recht.

Worum es geht, ist bekannt. Das Land hat den Bau eines Fahrweges auf die bislang unerschlossene Andersasc-Alm zuhinters im Kampillertal genehmigt. Der Besitzer, ein Bauer aus Montal, hat den Wegbau 30 Jahre betrieben, und ebenso lang wurde er von der Behörde verweigert. Das Juwel liegt nicht nur im Puez-Geisler-Naturpark, sondern ist seit kurzem auch noch Teil des von der Uno markengeschützten „Weltnaturerbes“ Dolomiten.

Der Weg ist inzwischen ein Stück lang gebaut und ist wohl nicht mehr rückbaubar. Allenfalls nicht mehr weiterbaubar (Umweltlandesrat Laimer hat schon Bereitschaft signalisiert). Den Grünen Michil hat der politische Überfall zu einem symbolischen Begräbnis für das geschändete Tal veranlasst, und weil ums Eck, am Würzjoch, die SVP-Ladina grad ihr jährliches Mittsommerfest hielt und der Landeshauptmann daran teilnahm, führte er den „Trauerzug“ dorthin. Michil ist ja kein Anfänger im Erfinden von Events, und so kam es zum Gipfeltreffen der Unversöhnlichen.

Der Landeshauptmann sagt, was er immer sagt, nur heftiger: Jedem Hof seine Erschließungsstraße! Das ist ein Südtiroler Autonomieprinzip und eigentlich in der gesamten Bevölkerung unstrittig. Inzwischen wird, so wie die Autonomie insgesamt, auch dieses Prinzip „dynamisch“ interpretiert, und fast heißt es schon: Jeder Alm ihren Erschließungsweg! Die Gründe, die der erregte Landeshauptmann vom Würzjoch dafür vorbringt, sind dürftig: Eine Bewirtschaftung der Almen sei sonst nicht möglich. Na, und? Immer weniger sehen solch unbewiesene Notwendigkeit ein. Muss eine Gesellschaft verstehen, warum alle Almen bewirtschaftet werden müssen? Und übrigens zu welchen und auf wessen Kosten?

Der Landeshauptmann glaubt, noch konkreter werden zu müssen: Sollten die Grünen, spöttelt er, dem Bauern das Salz (gemeint wohl: für die Schafe) zu Fuß hinauftragen! Den Aufruf hätte er sich ersparen sollen. Ein einschlägiges Angebot könnte ihn erreichen , schon balder als ihm lieb ist. Es gibt heute genug Hobby-Almer, rüstige Frührentner, die in jeder natürlichen Erschwernis eine sportliche Herausforderung erblicken. Die Schafe auf Dantersasc gehören ohnehin Hobby-Schafhaltern aus der Stadt. So ist das, mit den Almen heutzutag.

Durnwalder wirft seinem Herausforderer Michil vor, Leute wie er wüssten nicht, was Almwege sind. Damit mag er nicht ganz unrecht haben. Die Art, wie Umweltschützer, verstädterte zumal, sich gegen Wegebauten am Berg wehren, hat oft etwas Fundamentalistisches an sich und zeugt außerdem von geringer technischer Kenntnis und von noch geringerem Vertrauen in die Erholungskraft der Natur. Der zuständige Forstinspektor Regele hat recht, wenn er sagt, sein Betrieb gehe heute sehr sorgfältig und behutsam vor. Ökologisch sensible Fachleute bestätigen das. Dass die Straßengegner mit den Bildern der frisch aufgerissenen Wunden und der darin wühlenden Bagger agitieren, ist verständlich. Ganz fair ist es nicht. Es gibt im Land gar einige Beispiele, wo bei Baubeginn die Zerstörung an die Wand gemalt wurde, hinterher musste dann eingestanden werden: Es war eindeutig eine Verbesserung. Die Fagenschlucht-Promenade in Bozen ist so ein Beispiel für überfällige grüne Selbstkritik.

Es geht um die Glaubwürdigkeit. Wer darf mitreden? Der Landeshauptmann darf, selbstverständlich, und es ist ihm zugute zuhalten, dass er auf seine primitivsten „Redeverbote“ von ehemals inzwischen verzichtet. Das Übliche: Bauerngrund in Bauernschlund, und die Städter sollen das Maul halten, sie müssen nicht oben überleben, – das zu sagen hat Durnwalder diesmal unterlassen. „Geht’s selber hinauf!“, dieser Spruch schreckt niemanden mehr. Dem grünen Hotelier hätte er damit eine dankbare Vorlage geliefert. Michil Costa habe inzwischen dem Bauern der Antersasc-Alm angeboten, diese zu kaufen, um sie vor der zerstörerischen Erschließung zu bewahren. Hat er das, wäre es eine grobe Gespürlosigkeit. „Sonst kauf ich dich!“ – gemeiner kann man einem Bauern nicht kommen.

Michil Costa hat, seit er an der grünen Front kämpft, natürlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das lässt sich nicht wegleugnen. Da ergeht es ihm gleich wie Reinhold Messner. Nur dass er nicht in dessen Rang der Unkritisierbarkeit steht. Wer wirtschaftet, und das auch noch erfolgreich, dem wird per Definition jedes Grün-Sein abgesprochen. Der Bonvivant Michil Costa müsste zum Körnlefresser konvertieren und sich in Sack und Asche werfen, um von seinen Widersachern das grüne Gütesiegel erteilt zu bekommen. Der Landeshauptmann bedient sich der populistischsten Klischees, wenn er Costa vorhält, selbst Porsche zu fahren, seine Hotels zu erweitern und die eigene Almhütte mit Hubschrauberflügen zu bedienen (Apropos: Wer hat ihm die Genehmigungen dafür erteilt?).

An einen wie Michil Costa werden naturgemäß ganz andere Glaubwürdigkeitsansprüche gestellt als an irgendwen. Dem Erfolgreichen wird vorgeworfen, er verweigere anderen jetzt genau das, was er selber längst genossen hat. Umdenken ist in seinen Kreisen nicht vorgesehen. Und trotzdem oder eben deshalb: Veränderungen, wenn es nicht Revolutionen waren (die immer tragisch enden) gehen immer von den Erfolgreichen aus: Die Kapitäne der Schwerindustrie wurden zu Vorreitern der Green-Economy; die ehemaligen Turbo-Bauern waren es, die als erste auf Bio-Landwirtschaft umgestellt haben; im Tourismus ist es nicht anders: Die Erfolgreichsten sind auch die Wendigsten. Der belächelte Michil wird noch Schule machen.

Luis Durnwalder hat mit sich kein Glaubwürdigkeitsproblem. Er ist überzeugt, er schützt mit dem Weg ins Andersasc-Tal den Bauern und mit dem Bauern die Alm. Der Landeshauptmann und der Grüne reden vom Gleichen, meinen aber das Gegenteil. Der Naturschutz, in dessen Namen die Uno die Dolomiten zum Weltkulturerbe erklärt hat, ist bei Michil Costa besser aufgehoben. Der Alm-Erschließer Durnwalder muss ertragen, dass ihm nicht geglaubt wird. Wie viele Höfe und wie viele Almen sind schon mit den gleichen Unschuldsbeteuerungen erschlossen worden wie jetzt die Andersasc-Alm? Das Schlimme an den Wegen ist ihr Nebenzweck: Da kommt nicht nur die Bauernfamilie hinauf, sondern hintendrein gleich der Kraftfutterwagen, der Gülletank und die Planierraupe. So ist es meistens, und wer jetzt zu einem „ganz, ganz schmalen Traktorweg“ (Durnwalder) nein sagt, ist kein ignoranter Protesthansl oder Neidhammel, sondern hat seine schlechten Erfahrungen gemacht. Er handelt nach dem Prinzip: Wehret den Anfängen! Auch das Land hat die Glaubwürdigkeit verspielt.

Wer wird also recht behalten zu Füßen des Puez? Vor der Welt und vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung, da besteht keine Frage: Michil Costa. Luis Durnwalder verteidigt ein Prinzip, das schon gefallen ist. Spätestens mit der Annahme der Unesco-Auszeichnung. Diese ist nicht nur Gratiswerbung. Sie hat ihren Preis. Nicht jede Alm darf fortan wirtschaftlich sein. Allenfalls wird sie das auf eine neue Weise sein.

Ich freilich bin ein Nostalgiker alter Almerei. Mir geht’s mit den Bauern und dem Michil wie seinerzeit Pier Paolo Pasolini mit der 68er-Studentenbewegung und der Polizei, die diese niederknüppelte. Die rebellierenden Studenten waren die Zukunft, das verstand der Dichter auch, doch er entschied: „Ich stehe auf Seiten der Poliziotti, Bauernsöhne des Südens, und gegen diese figli di papà des Mailänder Bürgertums.“

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