SWZ-Chefredakteur Robert Weißensteiner hat sich unlängst gefragt, ob unser Heil im Tourismus liegt und für 3.Dezember lädt der TMC zu einer Veranstaltung mit dem Thema „Der neue Minimalismus, die neue Spiritualität“. Das veranlasst mich, meine Sicht der Dinge zu erläutern.
Corvara – “Lieber Gott, ich bitte dich, mich rein zu machen, aber nicht gleich”, schreibt der Hl. Augustinus in seinen Bekenntnissen. Will sagen: Gut Ding braucht gut Weil. In Sachen Tourismusentwicklung hingegen heißt es sofort handeln. Uns bleibt nämlich keine Zeit mehr. Wenn wir weiterhin Raubau an den Ressourcen treiben, die wesentlich für die Attraktivität Südtirols sind, wenn wir nicht aufhören, die Landschaft zu zubetonieren, verschwenden wir unseren Schatz. Unsrer derzeitiges Verhalten ist draufgängerisch und eine Selbstverstümmelung. Diese Krankheit ist zwar nicht ladinisch oder südtirolerisch, sondern auch anderswo verbreitet. Das ist jedoch ein schwacher Trost.
Die Fragen, die ich mir stelle, lauten: Was suchen wir eigentlich? Was erwarten unsere Gäste. Warum schaffen wir es nicht, die unkontrollierte Entwicklung zu bremsen?
Das einfache Denkmuster, nach dem das Wohlbefinden und die Lebensqualität Früchte des ökonomischen Wohlstands und des wirtschaftlichen Wachstums sind, stößt immer mehr an seine eigenen Grenzen. Auf endloses Wachstum zu setzen, hat keine Zukunft, weder in wirtschaftlicher noch in ökologischer Hinsicht. Es bedarf neuer Ideen für die Lebensbefriedigung, den Lebensunterhalt und die Lebensqualität. Viel zu oft werden die direkten wirtschaftlichen Erfolge einer Wachstumsstrategie überbewertet, während die Kosten (beispielsweise für Infrastruktur) systematisch unterschätzt werden. Indes steht die Frage im Raum, warum wir es nicht schaffen, mäßiger zu sein und uns mehr Maß aufzuerlegen.
Alle Überlegungen zur touristischen Entwicklung müssen einige grundlegende Punkte berücksichtigen.
1. Es ist richtig, dass manche Gebiete in den Alpen und einige Gemeinden in Südtirol strukturschwach sind und viele Menschen von dort abwandern. Aber in vielen Gegenden werden die Belastungsgrenzen überschritten, vor allem während der Hochsaison. Die Folgen sind eine soziokulturelle Schwäche und ein allgemeines Unbehagen der Bevölkerung mit dem Ergebnis, dass junge Leute nicht mehr im Tourismus arbeiten wollen.
2. Eine Verbesserung der Erreichbarkeit der touristischen Gebiete führt nur zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer. Anstatt die Erreichbarkeit zu verbessern, müssen Maßnahmen getroffen werden, die Aufenthaltsdauer der Gäste in den verschiedenen Urlaubsorten zu verlängern.
In den Alpenländern sind über 25 Prozent der Treibhausgasemissionen auf den motorisierten Verkehr zurückzuführen. Es handelt sich dabei um eine Entwicklung, die dem politischen Ziel zuwiderläuft, die Emissionen zu reduzieren. In den Alpen wird im Vergleich zum europäischen Schnitt öfter das Privatauto benutzt als die öffentlichen Verkehrsmittel. Wir müssen die negativen Folgen und die aus dem inter- und transalpinen Verkehr resultierenden Risiken auf ein Niveau verringern, das für Mensch, Fauna und Flora erträglich ist. Es gibt bereits ein Verkehrsprotokoll im Rahmen der Alpenschutzkonvention. Wir müssen bloß entsprechend handeln.
Die Dolomitenpässe müssen für den motorisierten Verkehr gesperrt werden. Auf diese Weise könnten Radtouristen angelockt werden und Gäste, die dem Trubel entkommen wollen und Ruhe suchen. Man muss über die Preisgestaltung der Hotels reflektieren. Viele Betten bedeuten niedrige Preise. Viele Hotels mit vielen Betten sind nicht die Lösung.
Wenn sich das Klima ändert, hat die Natur die Folgen zu tragen. Jede zweite Pflanzenart ist bis 2100 vom Aussterben bedroht. Und die Lebensbedingungen für viele Wildtiere werden aufgrund der Erderwärmung schlechter.
3. Wir müssen uns fragen: Kommen die Touristen zu uns, um einen Türkenbund zu sehen und einen gut erhaltenen Weiler – oder eine Straße, an der sich Hotel an Hotel und Geschäft an Geschäft reiht? Wir dürfen nicht zu Sklaven des Wunsches nach immer mehr Konsum werden und das Glück nur in dem suchen, was die Kirche irdische Bedürfnisse nennt. Es ist der Moment gekommen, an einen intelligenten Tourismus zu denken.
4. Der Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien muss beschleunigt werden – aber nicht auf Kosten der Natur. Bei der Produktion von Biomasse und der Errichtung von Windkraftanlagen und neuen Wasserkraftzentren in den Alpen handelt es sich um Eingriffe, die bedenklich sein und zu Konflikten führen können. Die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der klimatischen Maßnahmen müssen sorgfältig geprüft werden. Das Klimahaus hat seine Vorteile, aber ich möchte das Hauptaugenmerk auf die Ästhetik legen. Diese darf meiner Meinung nach nicht außer Acht gelassen werden. Es gilt, die alte Baukultur aufzuwerten, dabei aber nicht ganz Südtirol in ein Museum zu verwandeln. Die Touristen kommen zu uns, weil bei uns Tradition und Geschichte lebendig und nicht in Museen eingeschlossen sind.
“Wahrhaft weise ist der, der seinem Leben Regeln der Mäßigung, des klugen Maßes und des Gleichgewichts auferlegt und so Verwirrung und Leidenschaft vermeidet“. Der ethische Rationalismus des griechischen Philosophen Demokrit bringt mich zum Reflektieren über jene Denkformen, welche die Welt verändert haben.
5. Wir müssen den Mut haben, die weitere Entwicklung der Dolomiten nachhaltig zu begleiten. Wir verfügen nicht alle über die notwendige Sensibilität, um eine Landschaft zu „errichten“, die es wert ist, ein Erbe aller, ein Erbe der Menschheit zu sein. Wie hat der französische Schriftsteller Gustave Flaubert einmal gesagt? “Dieser Ort wird nicht von der Zeit, sondern von Reisenden und Wissenschaftlern zerstört”.
6. Die Berge sind kein Vergnügungspark, die Dolomiten sind nicht Gardaland. “Wir müssen ein Feuerwerk veranstalten, weil der Kunde das so will”. Das stimmt nicht. Ich habe genau den Gast, den ich mir verdiene. Ich muss mir bewusst werden, dass mein Handeln die Art des Tourismus bestimmt. Entscheide ich mich für eine bestimmte Art, werde ich diese Art von Tourismus haben, bewege ich mich hingegen in eine andere Richtung, werde ich eine andere haben.
7. Wir müssen Grenzen akzeptieren und uns selbst erziehen – und wir müssen prüfen, ob wir leichte Sofortgewinne wollen oder eine nachhaltige Entwicklung. Wenn wir uns von den Dolomiten und ihrer Schönheit dazu verlocken lassen, sie mit einem unmenschlichen Marketing auszubeuten, werden wir verlieren. Wenn wir weiterhin die Drei-Viertel-Pension in vereinheitlichten Hotels im Pseudo-Tirolerstil verkaufen, werden wir verlieren.
Wir müssen bereit sein, das Übermäßige und Übertriebene als eine Lebensform zu sehen, die uns nur eine kurzlebige Befriedigung bringt, aber unsere Fremdenverkehrsorte langfristig strafen wird.
8. Authentizität bedeutet nicht, Städte in den Bergen zu bauen, weil dort die Luft besser ist. Wie können wir langfristig unser Wohlbefinden garantieren und zum Wohlbefinden der Gäste beitragen? Die Politiker müssen mehr Mut haben, wichtige, wenn auch unbeliebte Entscheidungen zu treffen. “Ein bisschen von allem” funktioniert nicht mehr.
Von einer wirtschaftlich-touristischen Diskussion erwarte ich mir, dass der Mensch mit all seinen Wünschen und Besonderheiten im Mittelpunkt steht.