blumen_maennchen

„Wie wird das Wetter?“, lautet die Frage, die mir die Gäste besonders oft stellen. Ebenso häufig antworte ich, dass ich keine Ahnung habe. Es ist die Wahrheit: Das Wetter zu kennen, bedeutet mir nichts. Doch aus Pflichtgefühl sehe ich mir gelegentlich die Wettervorhersage an. Vor ein paar Tagen wurden da (nochmal) 30-50 cm Schneefall angesagt. Doch zwischen den zwar großen, aber harmlosen Wolken spitzte am Schluss nur die Sonne hervor. Und die Weide hier vor meinem Bürofenster trieb bereits die ersten Knospen. „Moment mal, war denn nicht Schnee angekündigt?“, fragte ich mich. Wir gewöhnliche Sterbliche fühlten uns an diesem Tag völlig aus dem Konzept gebracht – die Vorhersage hatte nicht gestimmt; verwirrt und durcheinander fühlten wir uns, fast schon verstört. Eine falsche Vorhersage löst beinahe schon einen Kurzschluss aus. Aldo Leopold, der Pionier des wissenschaftlich begründeten Umweltschutzes, sagte: „Der normale Bürger glaubt, die Wissenschaft wüsste, was den Mechanismus der Gemeinschaft zum Funktionieren bringt; der Wissenschaftler dagegen ist im gleichen Maße davon überzeugt, es nicht zu wissen.“ Natürlich irren sich auch Wissenschaftler! 

Und so konnten wir einen wunderbar angenehmen, warmen Tag genießen, während es doch eigentlich hätte schneien sollen. Mir kam dabei der Gedanke, dass die Experten uns mit ihren Vorhersagen ein bisschen die Zukunft rauben: Wir glauben zwar, dass sie uns ein besseres Leben verschaffen, doch das stimmt nicht. Denn wenn die Vorhersagen stimmen, dann nivellieren sie unsere Gefühle; sind sie dagegen falsch, lassen sie einen bitteren Nachgeschmack zurück. Wir verlieren die Freude – oder den Schmerz – an der Überraschung, an der Neugierde. Neugierde im Sinne von curiositas, sprich dem Interesse für die Dinge, die um uns herum geschehen, die Freude daran etwas kennenzulernen, Erfahrungen zu machen, die Augen aufzureißen angesichts einer Sache, die uns bis gerade eben noch unbekannt war. Mit den Wettervorhersagen – die ja meistens zutreffen – verbinden wir die Hoffnung auf ein einfacheres, manchmal wunderbares Leben. Ob das keine Falle ist? Denn im Grunde hängt alles von uns ab. Lassen wir die Vorhersagen mal beiseite: Es liegt an uns, wie wir die Zeit nutzen. Die Revolution müssen wir dann machen, wenn die Zeit zur Revolution gekommen ist; umgekehrt sollen wir uns dann erholen, wenn die Natur es uns auferlegt. Sollen uns an den Schneeflocken erfreuen, die vom Himmel fallen, auch wenn sie den Rehen im Wald Probleme bereiten, wenn sie die Liftanlagen an der Marmolada kaputt machen und den Straßenverkehr zum Erliegen bringen. Glauben Sie wirklich, dass wir schlechter leben würden, wenn wir die Wettervorhersage im Fernsehen nicht mehr angucken? Vielleicht würde uns jeder einzelne Sonnenstrahl sehr viel mehr Freude bereiten, genauso wie die hoch fliegenden Raben, die ein nahendes Hochdruckgebiet ankündigen. Schalten wir also den Fernseher aus und lassen wir gemeinsam die Worte von Aldo Leopold auf uns wirken: „Die Gelegenheit, Gänse zu sehen, ist wichtiger als das Fernsehen; die Möglichkeit, eine Anemone zu finden, ist genauso ein unveräußerliches Recht wie die Meinungsfreiheit.“ Wir sollten die Natur, ihre Schönheit und Dramatik, bewusst genießen und uns rühren lassen von jenem Baum jenseits des Bürofensters, der schon Knospen treibt, auch wenn auf dem Hotelvorplatz noch Schnee liegt. Es ist ein klares Zeichen: Der Frühling naht, auch hier. Wann genau er kommt? Lassen wir uns überraschen, warten wir ihn voller Neugier und Sehnsucht ab. Und jedes Blümchen, das uns einen guten Tag wünschen möchte, ist gern gesehen. Sie werden kommen, diese Blümchen, warten Sie es nur ab. Ob mit oder ohne Wettervorhersage.

Die Annahme, nach der sich die Sozialwissenschaften bis zu dem Punkt weiterentwickeln können, an dem sie exakte Prognosen von Tatsachen und Ereignissen jeder Art möglich machen, führt zu absurden Konsequenzen.“
K. R. Popper