Sie bohrt sich in unseren Kopf wie ein Holzwurm. Gräbt ihre Tunnel in unsere grauen Zellen wie ein unermüdlicher Maulwurf und schafft sich immer mehr Platz, zwanghaft und ohne Pause. Manchmal bemerken wir sie gar nicht, dabei bearbeitet sie unsere Psyche mit dem Ziel, unser Kritikvermögen auszuschalten, unsere Meinung zu beeinflussen. Sie kann nervig sein, aggressiv, provokant. Sie kann auch verführen mit all ihrem falschen Glimmer. Wir nutzen sie, wir mögen sie mal mehr, mal weniger, doch wir brauchen sie auch und wir alle werden von ihr in unseren täglichen Entscheidungen beeinflusst.
Die Werbung ist nichts, was es erst seit unserer Generation gäbe. Schon vor 2000 Jahren in Pompeji wurde die Bevölkerung mittels Werbung dazu aufgerufen, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen. Doch erst mit der industriellen Revolution wurde Werbung zum Masseninstrument. Mit der Unterstützung von Psychologen, Grafikern, Regisseuren werden immer raffiniertere Kommunikationstechniken entwickelt. Die Pop Art produziert Kunst in Serie, mit dem Ziel, den Menschen als Konsument darzustellen. Kunst ist kein Eliteprodukt mehr, sondern wird massentauglich.
Seit einiger Zeit hat sich die Werbung – früher Reklame, heute Marketing und Kommunikation genannt – auch der Berge bemächtigt. Sie hat sich gewissermaßen Wanderstiefel angezogen und sich auf den Gipfeln breitgemacht. Was früher geradezu heilige Stätten waren, Orte, an denen man tiefsten Respekt vor dem Unbekannten, dem Göttlichen bezeugte, sind heute Räume, die von wehenden Fahnen und Anzeigentafeln, Plakaten und Lärm dominiert werden. Damit sie auch garantiert wahrgenommen werden von den Konsumenten, werden Werbebotschaften mit Hilfe aller möglichen technischen Hilfsmittel verstärkt. Manchmal wird die Message mit Hilfe von politisch korrekten Bildern übertragen; dabei spielt man mit der Sensibilität des künftigen Kunden, dessen Unterbewusstsein manipuliert, bearbeitet und korrumpiert wird. Andere Werbebotschaften wiederum empfinde ich als echte Beleidigung für meine Intelligenz. Und die ständige Wiederholung des Prinzips, dass alles neu sein muss, unterwirft uns einer Art von permanentem Modernisierungsstress und injiziert uns einen Virus, der uns mit dem Besitz-Syndrom ansteckt, das kurz und knapp so lautet: „ Wer nichts hat, ist nichts.“
Wir Tourismusunternehmen profitieren davon natürlich. Wir leben mit der Werbung und haben unseren Nutzen davon. Trotzdem sehe ich gewisse Dinge mit Erstaunen. Dass ich gleichzeitig auf der Bühne und im Zuschauerraum sitze, hält mich nicht davon ab, kritisch zu betrachten, was nun auch bei uns in den Bergen passiert. Die Gäste beklagen sich zwar nicht; sie sind allerdings auch gewöhnt an die großstädtischen Werbebombardements. Dennoch sollten wir uns fragen, ob es richtig ist, dass bei uns zwei oder drei Automarken gleichzeitig groß ihre Modelle ausstellen. Die eine auf Podesten, die anderen in rund um die Uhr beleuchteten Glassärgen, die dritte auf eigens fabrizierten Gestellen. Überall wird das so gemacht, von Courmayeur bis St. Ulrich. Bekanntlich hat sich die Bergwelt ja nicht nur entvölkert, sie wurde auch industrialisiert; auch das ist Teil unseres Zirkus. Wir selbst haben das so gewollt, wir brauchen das, und deshalb „haben wir keinen Grund uns zu beschweren“, werdet ihr sagen. Und vielleicht stimmt das auch. Allerdings könnten wir auch… die Werbung eindämmen und unsere „Locations“ ein bisschen sparsamer zur Verfügung stellen. Entsprechende Anfragen etwas sorgfältiger prüfen. Keinen Unternehmen Platz gewähren, die sich nicht an grundlegende ethische Werte halten. Denn wennalles nur noch „Ware“ ist, vergessen wir womöglich, dass unsere Besucher Gäste sind, keine Kunden. Es sind Menschen, nicht nur Konsumenten und Käufer. Ich könnte vergessen, dass meine Vorstellung von „Lebensraum“ – einem Ambiente, das nicht komplett an kleine und große Marken verkauft wurde – wichtig ist, um unseren Besuchern ein richtiges Bild zu vermitteln. Ich könnte vergessen, dass ich eine eigene Sprache besitze, die mir Würde verleiht. Dass ein Mensch auch durch Traditionen und Kultur Glück erfahren kann. Und dass da oben, auf dem Berg, die Stille ein grundlegender Wert ist.
Das Aufrechterhalten eines qualitativ hochwertigen Tourismus bedeutet auch, gegen einen maßlosen Konsum der alpinen Welt anzukämpfen: einen Haufen Geld zu verdienen, kann nicht unser einziges Ziel sein. Denn wenn wir wirklich nichts anderes wollen, dann können wir auch gleich nachts per Laser ein monumentales Logo auf den Sassongher projizieren. Womit wir uns nicht nur unser Dorf und unsere Berge, sondern auch unsere Sterne wegnehmen haben lassen würden.
Michil Costa