Lieber Albert,
es stimmt schon, viel haben wir nie miteinander geredet. Hie und da ein paar Sätze, ein paar Schulterklopfer, ein Witz. Und doch gehörst du zu den Menschen, die mein Leben beeinflusst haben. Seltsamerweise ist mir das erst jetzt, Jahre später, so wirklich klar geworden. Wir sind zusammen geradelt, du und ich, und ich habe dich bewundert. Denn ich war noch ein junger Spund und du, der du zehn Jahre älter warst, warst bereits ein richtiger Mann, einer dieser Männer, die zum Vorbild taugen und die man gern zum Vorbild nimmt. Denn es gibt diese Männer, die Stärke, Charisma und Widerstandsfähigkeit ausstrahlen. Weil sie diese Eigenschaften auch wirklich besitzen. In ihrem Windschatten unterwegs zu sein ist ein Privileg. Albert, der Zielstrebige. Albert, der Unerschütterliche. Albert, der Dynamische. Der immer mit einem kleinen Augenzwinkern lachte, der nicht viel sagte, sondern seine Worte maßvoll, aber zielgenau einsetzte. Albert mit seinem durchdringenden Blick, wie ihn Leute besitzen, die die Berge auf der Haut und in der Seele tragen. Ja, Albert Tavella, ich fand dich richtig gut.
Das Fahrrad war deine große Leidenschaft. Mit ihm und auf ihm littest du, träumtest du, warst du glücklich. Das Fahrrad war ein Teil deines Lebens und hat dich auf die Idee mit der Maratona dles Dolomites gebracht. So wurdest du einer der Gründerväter. Und wenn wir heuer das 30jährige Jubiläum dieses verrückten Rennens feiern können, dann verdanken wir das auch dir. Denn du warst es, der zusammen mit den anderen die Richtung vorgegeben hat – mit Begeisterung, Hingabe und Organisationstalent.
Herrschaftszeiten, und jetzt bist du nicht mehr da. Und ich habe mich doch nie richtig bei dir dafür bedankt, wie perfekt du als Verantwortlicher die Verpflegungskontrolle am Grödner Joch gemanagt hast. Makellos war sie, alles an seinem Platz, nie kam auch nur ein einziger negativer Kommentar von den 9000 Bikern, die bei dir neue Energien tankten. Du hattest es einfach drauf, Albert, warst handfest und entschlossen. Und auch wenn deine Reise auf Erden genau in dem Moment zu Ende ging, in dem die Maratona sich dem Thema des Reisens widmet, so bist du in Wirklichkeit einen Schritt weiter gegangen. Hast die Tür zur Unendlichkeit weit aufgestoßen. Lässt uns einsamer zurück, aber gleichzeitig im glücklichen Wissen, dich als Gefährte in unvergesslichen Momenten gehabt zu haben. Du weißt es ja selbst nur zu gut, Albert, dass Romantik und Sentimentalität in unseren Tälern nicht sehr verbreitet sind – wir sind Männer der Berge. Aber ich sag’s dir jetzt trotzdem, denn ich weiß, dass du mich hörst da oben, in deinen himmlischen Auen, wo du in die Pedale deines unvergänglichen Fahrrads trittst: Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich nie umarmt habe. Mögest du sanft ruhen und der Sternenhimmel über dir ewig glänzen.
Michil Costa
*am 21. Juni, ist Albert Tavella bei einem Unfall ums Leben gekommen. Albert war Gründungsmitglied der Maratona dles Dolomites.