Wir haben gewonnen, heißt es jetzt überall, während gleichzeitig der Senat gegen die von den Demokraten vorgelegte Resolution zum Klimawandel gestimmt hat. Wir haben gewonnen, heißt es, während 43 arme Seelen seit zehn Tagen vor Lampedusa auf einem Schiff ausgeharrt haben.  Schlimm ist das. So schlimm wie die Nachricht, dass Cortina-Mailand den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele bekommen hat. „Wir haben gewonnen“, heißt es.

Was wir mit Sicherheit gewonnen haben, ist mehr Spekulation, mehr Landvernichtung, mehr Straßen und Überführungen in den Dolomiten. Es werden nachhaltige Spiele werden, sagen sie. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Es wird längst genauso missbraucht wie unsere Berge.

Richtig, wir haben die 924 Millionen Dollar gewonnen, die der IOC dem CONI für die Organisation der Spiele bezahlt. Wie sollten wir auch sonst dieses Geld auftreiben? Wir, die wir unfähig sind, unsere Staatsschulden zu reduzieren? Wir, die wir über alles streiten und kostbare Jahre in einer Art Dauerwahlkampf verschwenden? Wir, die wir nicht in der Lage sind, irgendein Opfer zu bringen, wir haben gewonnen. Wir sind ein Land, das wie ein Drogensüchtiger ein trügerisches Wachstum anstrebt: eine Weile lang nach vorn, um dann dramatisch zurückgewiesen zu werden. Adieu, restlicher Frieden und adieu, Reste unseres Planeten. Wir tanzen dem Eisberg entgegen. Die Olympischen Spielen sind sicher eine großartige Gelegenheit, unsere Dolomiten ein weiteres Stück weit kaputtzumachen. Eine Frage muss erlaubt sein: die nach dem Grund, warum sich fast niemand mehr um die Austragung von Olympischen Spielen bewirbt. In vielen anderen Ländern wurden die Bemühungen darum, die Spiele „nach Hause“ zu bringen, gestoppt, nicht zuletzt durch Referenden. Am Schluss waren überhaupt nur noch zwei Destinationen übrig, die um den „Sieg“ kämpften: Stockholm/ Are und Milano/ Cortina.

Wir haben gewonnen, heißt es jetzt, während
sie den Hut aufhalten und die Beute eintreiben.

Haben wir denn bereits die Konsequenzen von
Cortina ´56 vergessen? Die Einheimischen damals wollten die Spiele nicht, sie
wurden quasi zwangsverpflichtet. Und die Weltmeisterschaften 1995 wurden deshalb nicht in Gröden ausgetragen, weil
sich die Bevölkerung dagegen stark gemacht und ein
Referendum beansprucht hat – genau, diese Leute, die den Mut haben, auch
mal laut nein zu sagen. Neinsager zu sein, bedeutet in diesem Fall
letztendlich, ja zu sagen zum Schutz einer Region, einer empfindlichen
Gebirgsrealität. Das Risiko heute liegt in der Banalisierung der
Landschaft.  Der Vergewaltiger und Vulgarisierer
unserer Berge liegen bereits im Hinterhalt.

Was haben eigentlich die zehn Jahre UNESCO-Welterbe gebracht? Eine Institution, die nie eine Meinung äußert, die immer den Dialog mit den größten Schreihälsen sucht, die hochgradig politisch ist und die Aufgabe nicht erfüllt, für die so doch da wäre: eine Marke zum Schutz des Territoriums zu sein. Zehn Jahre UNESCO haben dazu geführt, dass es zu mehr Übernachtungen, mehr Flächenverbrauch kam.

Nun, die Geschichte wiederholt sich nie ganz genau. Ob uns das trösten kann? Uns bleibt nur die Hoffnung, dass sie nicht in ein paar Jahrzehnten in unsere Grabsteine meißeln: „Sie gingen feiernd in den Tod“. Wir sind eben alle lauter Kassandren.  Wir müssen endlich aufhören, nicht glauben zu wollen, was uns erzählt wird. Müssen aufhören, den Eisberg zu ignorieren, auf den wir mit voller Kraft zusteuern. Es werden bestimmt nicht die Olympischen Spiele sein, die unser Land vom Mangel an Werten, Visionen und Bewusstsein retten. Und doch frage ich mich immer noch: Haben die Dolomiten wirklich gewonnen?

Michil Costa
Salto.bz, 27/06/2019