“Good morning, where is Corvara the little mountain village?“ So fragten mich neulich bei uns im Hotel amerikanische Gäste, wo denn wohl das “kleine Bergdorf Corvara” liege. Von anderen Touristen habe ich Sätze gehört wie: „Hier wird aber viel gebaut!“ oder: „Ihr wollt hier doch nicht so enden wie in Cortina?“ und: „Passt nur gut auf das Erbe eurer Väter auf!“ Wohin geht unsere (Bau-)Entwicklung? Seit dem 26. Juni 2009 sind unsere Dolomiten ein Weltnaturerbe, und wir sind nicht ohne Grund stolz darauf. Aber was passiert mit unseren Tälern, unseren Dörfern? Welcher Architektur-Wahn erwartet uns dort noch? Vielleicht hat uns das Schicksal mit dem Weltnaturerbe nun ein e Macht in die Hände gelegt, die wir nutzenkönnen, wenn wir willens sind.
„Himmel, Erde und ich – wir leben zusammen, und sämtliche Dinge plus ich formen zusammen eine untrennbare Einheit.“ (Chuang Tzu) Klingt kompliziert, ist aber das, was wir alle täglich fühlen: Wo wir leben, ist nicht nur ein geographischer, sondern auch ein geistiger Ort, eine Gefühlsstätte, die im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Teil unserer Identität wird. Aber jedes touristisch stark besuchte Gebiet, das nicht überlegt seine Entscheidungen abwägt, wird irgendwann zum Opfer einer Rückentwicklung. Die ungeordnete und falsche Transformation von Land reißt diese außergewöhnliche „Einheit“ auseinander und schafft Unbehagen und das Gefühl unbewusster Entfremdung.
Rimini, Cancun, Kerala, Sharm-el-Sheik, die spanische Südküste zeigen es: lauter furchterregende Monster, die nicht nur die Landschaft zerstören. Den Menschen, die dort zuhause sind, kommt das Gefühl der Zugehörigkeit abhanden, das Interesse und der Respekt für die eigene Kultur. Sie fühlen sich als Fremde im eigenen Land.
Dabei gäbe es Alternativen: Bhutan erlaubt nur einen beschränkten Zugang von Touristen; hier wird Fortschritt in der Tat als ein Prozess gesehen, der nicht so sehr das wirtschaftliche Wachstum als vielmehr das Glück fördern soll.
In der Schweiz errichtet der Architekt Gion Caminada Neubauten, die sich perfekt mit schon existierenden Häusern ergänzen.
In verschiedenen Gemeinden der Toskana gibt es nur einen einzigen Typ Architektur – den lokalen.
Wäre es so schlimm, wenn auch bei uns die Freiheit der Architektur Grenzen hätte? Wo bleibt die vielgepriesene „Authentizität“ unserer eigenen Kultur und unserer Geschichte in der Gestaltung unserer Häuser, unserer Dörfer?
Unternehmerische Phantasien beschneiden, zu bewusstem und respektvollem Umgang mit dem Kulturerbe zu erziehen, vernünftig zu bauen – all das bedeutet, gemeinschaftlich und nachhaltig zu denken, auch gegen Widerstand.
Viele gute Leute in den Chefsesseln der zuständigen Ämter sollten Überwachungsautorität besitzen, werden jedoch regelmäßig in diesen letzten Jahren von klüngel wirtschaftlichen Entscheidungen der Landesregierung ausgehebelt. Dabei ist es gerade die Landesregierung, die in dieser Sache ein größeres Bewusstsein fördern und führen sollte. Doch stattdessen hat sie die Bauspekulation angeheizt und öffentliche Anlagen als Übergrößen in Beton errichten lassen – und die Sorgfalt und wachsame Ehrfurcht fahren lassen, die noch ihre Pflicht gewesen wäre. Sie hat überdimensionierte Brücken gebaut und bauen lassen, Kuppeln und Küppelchen, Türmchen und Zinnen, Almhütten-Hotels und Hotel-Almen mit roten Dächern und papageienhaft bunten Rollläden in lila-gelb. Des Wohlstands wegen sind wir dazu verdammt, in einem Weihnachts-Disneyland im pornoalpinen Stil zu leben. Wären es Bordelle gewesen, hätten wir damit einen Welterfolg hingelegt!
Aber eine Trendwende schein in Sicht! Nun heißt es auch aus dem Mund des Tourismuslandesrates Berger: „Die maximale Auslastung scheint erreicht.“ Können wir auf Wunder hoffen? Kann es sein, dass ein Umdenken stattfinden? Wir werden darauf achten und genau darauf schauen.
Oder sind wir weiterhin verdammt, unser architektonisches Erbe auf dem Altar des (scheinbaren) Wohlstandes zu opfern? Wie können wir diese Entwicklung aufhalten? Wenn es irgendwie geht, dann nur gemeinsam. Und genau aus diesem Grund haben wir in Alta Badia ein Projekt ins Leben gerufen: „Alta Badia Quo Vadis“ ist entstanden, um Abhilfe zu schaffen. Wir verlassen uns auf die Fähigkeiten lokaler Architekten. diese werden die Eigenschaften einer Alpin-Architektur festlegen, die in Harmonie mit unserer ladinischen Kultur steht. Schließlich ist Architektur, wie schon Schopenhauer sagte, Musik in fester Form!
Was zu retten ist, wollen wir retten, und wir wollen Vernunft annehmen. Auf diesen Vorsatz bin ich stolz und damit einer seiner beharrlichsten Förderer. Wir stehen noch am Anfang, weshalb ich zwar nicht schon beruhigt, aber doch zuversichtlich bin, weil ich weiß, dass Viele mit gutem Willen und Tatkraft dabei sein. unser Weltnaturerbe kann uns dabei helfen. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, und ichglaube daran: Der Lauf der Dinge im Leben und in der Welt kann sich auch ändern.
michil costa, Südtiroler Tageszeitung Nr. 168, am 30. August 2009