Das Landesgericht hat Christian Egartner für unwählbar erklärt. Es ist ein gleichsam überraschendes wie spektakuläres Urteil, das Auswirkungen auf das Machtgefüge der SVP haben könnte.
Man stelle sich eine rote Ampel an einer Kreuzung vor. Ein Autofahrer schert sich nicht darum und fährt drüber. Doch die Polizei hält ihn auf und will ihm eine ordentliche Strafe erteilen, weil er gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen hat. Der Autofahrer verteidigt sich: Es sei eh niemand sonst auf der Kreuzung gewesen, also alles halb so schlimm. Denn die Absicht des Gesetzgebers sei es ja nicht, Autofahrer zu schikanieren, sondern für die Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. Und die sei in diesem Fall nie gefährdet gewesen. Alles klar, sagen die Polizisten daraufhin, nur weiter so.
Was in diesem Fall absurd erscheint, stellt die SVP im Fall von Christian Egartner als normal hin. „Wir haben“, sagt Elmar Pichler-Rolle, SVP-Fraktionssprecher im Landtag, „für die Wählbarkeit von Christian Egartner gestimmt, weil wir überzeugt sind, dass er durch die Ausübung seines Amtes als Präsident einer privaten Gesellschaft keinerlei Vorteile bei den Landtagswahlen im Oktober 2008 gehabt hat.“ Mag sein. Trotzdem heißt es im Wahlgesetz: „Nicht wählbar sind ferner diejenigen, welche direkt oder als gesetzliche Vertreter von Gesellschaften oder privaten Unternehmen aufgrund von Werk- oder Lieferverträgen … gegenüber der Region oder den Provinzen gebunden sind.“ Egartner war zum Zeitpunkt der Wahl Präsident der Conbau GmbH, einem Zusammenschluss von 24 Südtiroler Bauunternehmen. Darunter ist auch die Wipptaler Bau AG, an der Christian Egartner mit 6,17 Prozent beteiligt ist. Die Conbau, die als ständiges Konsortium eingestuft wird, hat im Vorjahr zwei riesige Aufträge der Provinz Bozen an Land gezogen. Die beiden Baulose an den Umfahrungen von Leifers und Auer sind insgesamt über 55 Millionen Euro schwer. Juristen hatten daher bereits im Juni gegenüber ff (24/09) erklärt, dass Egartner im Oktober „unwählbar“ gewesen sei. Das Wahlgesetz ist in diesem Punkt ziemlich klar. Kurz nach dem ff-Artikel präsentierte der Grünen-Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba ein Rechtsgutachten des renommierten Trentiner Verwaltungsrechtlers Antonio Tita, das zum selben Schluss gelangte.
Der Paukenschlag erfolgte am Freitag vergangener Woche, als auch das Bozner Landesgericht Christian Egartner für nicht wählbar erklärt hat. Der dreiköpfige Richtersenat (Ulrike Ceresara, Silvia Monaco, Heinrich Zanon) hatte zuvor eine halbe Stunde über das Urteil beraten. Um 14.06 Uhr verkündete Gerichtspräsident Zanon mit brüchiger Stimme, dass der Rekurs der acht Bürgerinnen und Bürger aus dem Umfeld der Grünen (Cristina Kury, Sepp Kusstatscher, Brigitte Foppa, Miki Gruber, Michil Costa, Christian Troger, Maria Taferner und Maria Kusstatscher) angenommen werde. Das Mandat des SVP-Landtagsabgeordneten Egartner sei damit verfallen – für ihn soll der erste Nichtgewählte auf der SVP-Liste in den Landtag nachrücken.
Die Bauchlandung von Christian Egartner könnte damit bei seiner Partei akute Magenbeschwerden auslösen. Denn erste Nichtgewählte ist Julia Unterberger. Die streitbare Rechtsanwältin gehört dem linken Lager der SVP an, während Egartner den Patrioten zugerechnet wird. Zudem definiert sich Unterberger selbst als „nicht immer linientreu“ und „unbequem“. Das bekam die fraktionsinterne Mehrheit rund um den Landeshauptmann in der vergangenen Legislatur des Öfteren zu spüren – siehe Wohnbau- oder Gleichstellungsgesetz.
Seit den Wahlen im Herbst sind die Mehrheiten noch knapper. Die SVP hat statt 21 nur mehr 18 (von 35) Abgeordnete im Landtag, zudem hat sie mehrere Querdenker in ihren Reihen: Arnold Schuler, Sepp Noggler und Maria Kuenzer. Gesellt sich dazu auch noch eine Julia Unterberger, hängen politisch brisante Abstimmungen für die Macher mehr denn je am seidenen Faden. Denn die Opposition, die von den fünf Abgeordneten der Freiheitlichen angeführt wird, fühlt sich stark; so stark, dass der Landeshauptmann schon einmal bei den Freiheitlichen vorgefühlt hat, ob sie in bestimmten Sachfragen mit der Mehrheit stimmen würden.
Doch noch sind diese Szenarien Zukunftsmusik. Christian Egartner ist in erster Instanz für nicht wählbar erklärt worden, sein Anwalt Gerhard Brandstätter will dagegen berufen. Für Brandstätter, nebenbei auch Vorsitzender der SVP-Wirtschaft, sind die Nichtwählbarkeitsgründe im Wahlgesetz „eindeutig verfassungswidrig“. Daher wollte er vor dem Landesgericht eine Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof durchsetzen. Das Gericht lehnte dies ab. Brandstätter hofft, dass das Oberlandesgericht seinem Anliegen nachkommt.
Pius Leitner von den Freiheitlichen findet das Ganze „peinlich“. Schließlich habe die SVP das Wahlgesetz seinerzeit mitbeschlossen. Jetzt herzugehen und zu sagen, es sei verfassungswidrig, heiße das eigene Tun infrage zu stellen.
Christian Egartner selbst, der dieser Tage für ff nicht aufzuspüren war, möchte naturgemäß im Landtag bleiben. Immerhin hat er mehrere Hunderttausend Euro in den Wahlkampf gesteckt, die mit einem Schlag in Rauch aufgehen würden. Doch es wird eng für ihn. Politische Beobachter hätten ihm eher in der ersten Gerichtsinstanz eine Chance gegeben. In der zweiten Instanz, dem Oberlandesgericht, dürfte dies schwieriger werden – ganz zu schweigen von der Kassation. Da es sich um ein Dringlichkeitsverfahren handelt, wird der Instanzenweg innerhalb weniger Monate durchschritten sein. Außer das Oberlandesgericht gibt dem Antrag auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes statt.
Die Anwältin der acht Rekurssteller, Renate Holzeisen, ist zuversichtlich, dass die Sache zugunsten ihrer Mandanten ausgeht. „Das Gesetz“, sagt sie, „lässt eigentlich keine anderen Schlüsse zu.“
Karl Hinterwaldner, ff Nr. 38 vom 17. September 2009